Prof. Dr. Werning hielt einen interessanten Kurz-Vortrag zur Entfaltung der Integration an den öffentlichen Schulen der Bundesrepublik. In seinem Vorwort zog er folgenden Vergleich: „Die Inklusion im deutschen Schulsystem einzuführen ist so, als würde in England plötzlich jedes dritte Auto rechts fahren.“Nicht nur die Kritik an dem uneinheitlichen und ziellosen Vorgehen konnten die Zuhörerinnen und Zuhörer (unter denen sich auch einige Eltern befanden) teilen, sondern auch die Kritik an einem kontraproduktiven hohen Druck: „Man definiert hohe Ziele, aber sagt nicht, wie sie zu erreichen sind.“
Der Vorschlag des Redners „Setzen sie sich Ziele, die zu erreichen sind!“ wurde wohlwollend aufgenommen. Der Bildungsforscher sprach auch die Schwierigkeiten an, die die Einführung eines inklusiven Schulsystems innerhalb eines Schulsystems, das auf Selektion basiert und diese auch weiterhin verfolgt, zwangsläufig mit sich bringt. Gerade Duisburger Kolleginnen und Kollegen wissen, dass Integration bislang Sache der Hauptschulen war – abgesehen von den Grundschulen, in denen dies bereits seit 25 Jahren gelebte Praxis ist. Zudem haben in den letzten Jahren haben immer mehr Gesamtschulen und die drei Sekundarschulen (oft freiwillig) diese Aufgabe übernommen. Die Gymnasien scheinen bisher weniger motiviert, sich „inklusiv“ zu öffnen.
Prof. Dr. Werning machte auf die Absurditäten aufmerksam, dass neuerdings Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf Lernen Gymnasien zugewiesen würden, aber die Schule dann verlassen müssten, wenn ihr Förderbedarf aufgehoben werde. Auch die Situation, dass die Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf Lernen aufgenommen werden müssten, jene mit einer Realschulempfehlung jedoch nicht, sei für Eltern aber auch die allermeisten Kolleginnen und Kollegen nicht nachvollziehbar. Dabei seien gerade die positiven „Kompositionseffekte“ der Gymnasien sehr nützlich für das Gemeinsame Lernen: Lernerfolge für schwache und starke Schülerinnen und Schüler könnten viel besser organisiert werden, wenn die Zusammensetzung der Klassen weniger einseitig aussehe. Das selektierende Schulsystem verursache vor allem in den weiterführenden Schulen negative „Kompositionseffekte“, mit denen sich Gemeinsames Lernen viel schwieriger umsetzen ließe.
Es sei aber hinreichend wissenschaftlich belegt, dass leistungsstarke Schülerinnen und Schüler in inklusiven Klassen zumindest genauso gut (ggfs. sogar besser), leistungsschwache Schülerinnen und Schüler aber auf jeden Fall besser lernen würden. Besonders beim Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung seien die größten Lernerfolge feststellbar.
Auf die Eigenschaften guten inklusiven Unterrichts machte der Bildungsforscher die Zuhörerinnen und Zuhörer aufmerksam: Guter inklusiver Unterricht sei vor allem guter Unterricht und dieser lebe von gutem Fachwissen der Lehrerinnen und Lehrer und deren gut funktionierender Kooperation.
In der anschließenden Diskussion schalteten sich viele Kolleginnen und Kollege ein. Sie stellten eigene positive und negative Erfahrungen dar und kritisierten, dass das Land NRW viel zu wenig Stellen für die Umsetzung der Inklusion zur Verfügung stellt. Gefordert wurden u. a. kleinere Klassen, durchgängige Doppelbesetzungen, Zurverfügungstellung von Kooperationszeiten, Anrechnung von Fahrzeiten auf die Unterrichtsverpflichtung, Fortbildungen für die Regelschullehrkräfte usw.. Prof. Dr. Werning sieht das Funktionieren eines inklusiven Schulsystems unabhängig von der
Ressourcenfrage. So schlägt er vor, dass nicht alle Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern übernommen werden müssten. Hierzu merkt der Stadtverband an: Guter inklusiver Unterricht braucht Zeit, Qualität und Unterstützung.
Zeit für Vor- und Nachbereitung im Team, Zeit für Fortbildungen, Zeit für Konzeptentwicklungen, Zeit für Beratungen, Absprachen .... . Diese muss den Kolleginnen und Kollegen innerhalb der Arbeitszeit zur
Verfügung gestellt werden, so dass sie dies nicht zusätzlich abends oder am Wochenende machen müssen. Hierfür bedarf es angemessener Ressourcen.
Die ständig wachsenden Aufgaben wie Dokumentationspflichten, ineffiziente Lernstandserhebungen ohne Konsequenzen usw. sind zu stoppen.
Das Land muss endlich den Lehrermangel beheben, damit die Kolleginnen und Kollegen nicht mehr zusätzlich belastet werden durch Mehrarbeitsstunden zum Ausgleich für nicht besetzte Stellen.
Qualität für inklusiven Unterricht meint: es müssen genügend Lehrkräfte für Sonderpädagogik ausgebildet werden und den Schulen mit Gemeinsamen Lernen zugewiesen werden. Die Klassen mit Gemeinsamen
Lernen sind zu verkleinern, die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf soll nicht mehr als 5 pro Klasse betragen und der Unterricht soll mit verbindlichen Doppelbesetzungen organisiert werden.
Qualität beinhaltet auch die räumlichen und sächlichen Gegebenheiten, die notwendig sind für Differenzierungsmaßnahmen in den Lerngruppen, Testmaterialien, Fördermaterial, Pflegepersonal, Pflegeräume usw..
Zur Unterstützung der Schulen mit Gemeinsamen Lernen bedarf es auch Unterstützungszentren in jeder Stadt, in denen Fachberater bei Fragen zur Verfügung stehen. Dort sollen Fortbildungen, Treffen von
Arbeitskreisen, Supervisionen u. ä. organisiert und vorgehalten werden.
Hier stehen die Stadt Duisburg als Schulträger und das Land NRW als Arbeitgeber gleichermaßen in der Verantwortung.