(22.04.2020) Die ersten Schulen in Nordrhein-Westfalen sind wieder offen. Das bedeutet für viele Unsicherheiten. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Die Schulmails zum Schulstart lösen vielfältige Fragen auf, die wir in diesem FAQ beantworten wollen. Wie immer können wir nicht garantieren, dass es alle Fragen beantwortet. Insbesondere wollen wir Antworten geben darauf, wer zum Präsenzunterricht aufgefordert ist und welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, wenn der Gesundheitsschutz und die Hygienestandards nicht eingehalten werden. Die GEW ist der Auffassung, dass gerade deshalb der Schulstart ab dem 23. April verfrüht ist.
Wer muss nun seinen Dienst in der Schule wieder aufnehmen?
Die bloße Befürchtung, sich bei Verlassen der Wohnung möglicherweise mit dem Corona-Virus anzustecken, genügt nicht, damit der Aufforderung zum Dienstantritt nicht Folge geleistet werden muss. Denn eine nur potenzielle Ansteckungsgefahr – auf dem Weg zur Arbeit oder am Arbeitsplatz – gehört zum allgemeinen Lebensrisiko. Diese trägt jede und jeder Beschäftigte selbst.
Die Schulmails 14 und 15 des MSB fordern diejenigen Lehrkräfte und pädagogisch Beschäftigten zu Dienstleistung in der Schule auf, die keiner der dort beschriebenen Risikogruppen angehören. Damit besteht eine Anordnung zur Dienstpflicht in der Schule, allerdings nur dann, wenn auch die übrigen (Hygiene- )Voraussetzungen erfüllt sind (s. Schulmail vom 18.04.2020 – unter IV LINK!).
Das bedeutet, dass es einen Beschwerdegrund gibt, wenn die Hygienestandards, wie beschrieben, nicht eingehalten werden können (etwa zu wenig bis gar keine Waschbecken, keine Seife, keine Handtücher...). Auch Schulleitungen können in diesem Fall die Schulen nicht öffnen. Sie sind letztlich nach Schulgesetz verantwortlich für die Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vor Ort. Sie müssten dies gegenüber der Dienststelle und/oder dem Schulträger deutlich formulieren, damit von dort Abhilfe geschaffen werden kann.
Sollte diese Maßnahmen inklusive eines schulinternen Hygieneplanes (abgestimmt mit dem Lehrerrat) umgesetzt sein, so besteht auch eine Dienstpflicht, sofern es keine weiteren persönlichen Gründe gibt (z.B. Dienstunfähigkeit/Arbeitsunfähigkeit), die ein Zurückbehalten der Arbeitsaufnahme in der Schule rechtfertigen würde. Ein Verstoß gegen die sogenannte beamtenrechtliche Gehorsamspflicht kann disziplinarische Folgen haben. Es ist daher ohne weitere rechtliche Beratung davon abzuraten. Auch Arbeitnehmer*innen können nicht ohne arbeitsrechtliche Folgen ohne Grund ihre Arbeitsleistung verweigern.
Was kann ich tun, wenn ich der Dienstaufforderung nicht Folge leisten kann/will?
1. Beamte
Beamt*innen können bzw. müssen zunächst ihre Bedenken der Schulleitung, als unmittelbare vorgesetzte Stelle vortragen. Danach können sie remonstrieren, wenn ihren Bedenken nicht nachgekommen wird und die Anweisung aufrechterhalten wird.
Remonstration
In § 36 Abs. 2 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und § 3 Abs. 2 Allgemeine Dienstordnung (ADO) wird das sogenannten Remonstrationsverfahren beschrieben: Beamt*innen haben Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen unverzüglich auf dem Dienstweg geltend zu machen. Der Dienstweg beginnt grundsätzlich bei der bzw. dem unmittelbaren Vorgesetzten der Beamt*in. Daher sind zunächst auf der ersten Stufe des Remonstrationsverfahrens die Bedenken einer Lehrkraft gegenüber der Schulleitung zu äußern. Wird die Anordnung aufrechterhalten, haben sich die Beamt*innen, wenn die Bedenken fortbestehen, an die nächst höhere Stelle zu wenden. Dies ist auf der zweiten Stufe des Remonstrationsverfahrens die Bezirksregierung (oder für Grundschulen das Schulamt). Wird die Anordnung von dort aus wiederum bestätigt, müssen die Beamt*innen sie ausführen und sind von der eigenen Verantwortung befreit. Bis dahin darf die geforderte dienstliche Handlung ausgesetzt werden.
Sollte die übergeordnete Dienststelle die Anweisung aufrechterhalten, so gibt es nur noch den gerichtlichen Weg. Diesen im Einzelfall zu beschreiten, sollte mit rechtlichem Rat hinterfragt werden (dazu ist der GEW Rechtsschutz für Mitglieder da).
Nur für Mitglieder: ein Muster für eine Remonstration im online-archiv – webcode: 237614
2. Angestellte
Angestellte sollten ebenfalls zunächst die Bedenken gegenüber der Schulleitung geltend machen. Nach § 3 Absatz 4 ADO gelten für Lehrerinnen und Lehrer im Tarifbeschäftigungsverhältnis die allgemeinen Rechte und Pflichten entsprechend (§ 3 TV-L). Insoweit sind auch hier die in § 3 Abs. 2 ADO genannten Pflichten sowie die Regelungen nach den Vorschriften der §§ 35, 36 BeamtStG anzuwenden
3. Stellen von Gefährdungsanzeigen
Beschäftigte können Anzeigen mit konkreten Informationen über die Situation im Bereich Hygiene und Arbeitsschutz in der Schule stellen. Auch für mögliche rechtliche Folgen (Dienstunfall oder Schadensersatzansprüchen) ist die Gefährdungsanzeige zur Dokumentation sehr wichtig. Zentral ist dabei, ob die Ansteckungskette nachweisbar ist. Dafür sollte in der Schule vereinbart werden, wie die Anwesenheit der Schüler*innen und Beschäftigte dokumentiert werden. Auch die Hygienepläne der einzelnen Schule sollten gesichert werden, um die Maßnahmen des Arbeitgebers zu dokumentieren.
4. Lehrerrates und Personalrat
Das Einschalten des Lehrerrates und möglicherweise des Personalrats ist ebenfalls eine Möglichkeit, um die Hygienevoraussetzungen und damit den möglichsten Gesundheitsschutz herzustellen. Dazu ist jede*r Einzelne*r befugt im Rahmen seines Beschwerderechts.
5. Schulleitung
Für Schulleitungen, die ihre Schule nicht wieder öffnen wollen, weil sie die Hygienestandards nicht umsetzen können, gilt entsprechendes. Auch sie können diese Rechte wahrnehmen.
6. Schulpsychologische Beratung
Das Angebot des MSB der Unterstützung bei Ängsten vor Ansteckung sollte angenommen werden. Der schulpsychologische Dienst ist auch für die Beschäftigten da.
Wenn ein Familienangehöriger zur Risikogruppe gehört, kann ich meine Präsenz in der Schule verweigern?
Im Abschnitt III Nr. 8 der Schulmail 15 vom 18. April 2020 wird für den Ausschluss vom Präsenzunterricht die Pflegebedürftigkeit des Angehörigen in häuslicher Gemeinschaft erwartet. In ergänzenden Hinweisen der Bezirksregierungen heißt es dazu weiter:
„Bislang liegen keine arbeitsmedizinischen Erkenntnisse vor, dass sich unter Beachtung der herkömmlichen Hygieneempfehlungen bei den oben genannten Lehrkräften das Infektionsrisiko für Angehörige durch eine schulische Präsenz erhöht. Für diese Lehrkräfte gilt, dass sie die gleichen dienstlichen Pflichten wie sonstige nicht zu einer Risikogruppe zählenden Lehrkräfte haben.“
Die GEW NRW ist der Auffassung, dass diese Begründung nicht schlüssig ist. Beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verlangt nicht nur die Beachtung des Gesundheitsschutzes der Beamt*innen, sondern bezieht auch die Familie mit ein. Nach § 45 Beamtenstatusgesetz hat der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl der Beamtinnen und Beamten und ihrer Familien, auch für die Zeit nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, zu sorgen. Dies muss auch im Rahmen der Gleichbehandlung für Tarifbeschäftigte gelten. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass ein Pflegegrad bzw. die Pflegebedürftigkeit als Maßstab herangezogen wird. Arbeitsmedizinische Erkenntnisse, dass bei anderen Familienangehörigen, die unter der Risikogruppe gehören und nicht „pflegebedürftig“ sind, kein Infektionsrisiko besteht, lieben ebenso wenig vor.
Die GEW NRW rät daher Beschäftigten mit Angehörigen, die aus diesen Gründen eine Freistellung vom Unterricht wünschen, zu remonstrieren (webcode 237618- Musterschreiben für Mitglieder) . Außerdem sollte ein ärztliches Attest eingeholt werden, das ein gesteigertes Risiko beim Familienangehörigen bestätigt. Gleichzeitig ist die Einbeziehung von Lehrerrat und/oder Personalrat sinnvoll.
Was gilt für Menschen mit Schwerbehinderung?
Für sie gelten die Voraussetzungen der übrigen Beschäftigten. Es wird also von der Art der Erkrankung oder vom Alter abhängig sein. Einen generellen Ausschluss gibt es nicht (s. Schulmail 15, Abschnitt III Nr. 3). Bei Problemen sollte die Schwerbehindertenvertretung eingeschaltet werden.
Kann ich als Angehörige*r einer Risikogruppe freiwillig in die Schule?
Die Beachtung des Gesundheitsschutzes für die Beschäftigten fällt unter die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Für die Fälle von Vorerkrankungen gemäß der Risikogruppendefinition hat das MSB deshalb auch die Freiwilligkeit ausgeschlossen.
Für die Altersbegrenzung sieht es anders aus. Es soll – um nicht zu „bevormunden“ – die freiwillige Präsenz möglich sein, wenn dies schriftlich gegenüber der Schulleitung erklärt wird.
Die GEW rät davon jedoch ab. Die Hinweise des RKI sind bei der Einschätzung der Risikogruppe der über 60-jährigen sehr eindeutig. Damit gibt es eine erhöhte Gefährdung zu erkranken und dies auch möglicherweise schwerwiegend. Auch wenn wir nach derzeitigem Wissensstand keine Folgen für die Krankenversicherung (außer es gibt besondere Vertragsbedingungen bei privaten Krankenversicherungen), bei der Hinterbliebenenversorgung, der Berufshaftpflicht (für GEW-Mitglieder) sehen, so können andere Folgen - zumindest der Minderung von Ersatzansprüchen - nicht ganz ausgeschlossen werden.
Muss ich zu Konferenzen erscheinen?
In der Schulmail 15 wird klargestellt, dass die Schulöffnung nicht bedeutet, dass der normale Betrieb inklusive normaler Lehrerkonferenzen wieder stattfinden soll. Auf der Homepage des MSB heißt es:
„Das Ruhen des Unterrichts aus Gründen des Infektionsschutzes gilt grundsätzlich auch für Lehrkräfte. In diesem Fall erfüllen Lehrerinnen und Lehrer ihre Dienstaufgaben – sofern sie nicht durch die Schulleitung für die sog. Notbetreuung eingeteilt sind – soweit wie möglich am heimischen Arbeitsplatz. Die Einberufung großer Lehrerkonferenzen widerspricht dem Grundsatz des Infektionsschutzes. Besprechungen, die für die Aufrechterhaltung des Schulbetriebes nicht zwingend erforderlich sind, sollten daher möglichst abgesagt bzw. verschoben oder mittels Telefon- oder Videokonferenzen abgehalten werden.“
(siehe auch: https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Recht/Schulgesundheitsrecht/Infektionsschutz/300-Coronavirus/FAQneu_Coronarvirus_Lehrkraefte-_-Arbeitsschutz-und-Dienstpflicht/index.html)
Es sollte bei Einladung z.B. zu einer Lehrerkonferenz der Lehrerrat eingeschaltet werden, damit diese Problemlage mit der Schulleitung besprochen wird und die Einladung zurückgenommen wird. Es sollte entschieden werden, welche „Konferenzen“ mit „wenigen“ Teilnehmer*innen unter Einhaltung der Hygienestandards wirklich erforderlich sind.
Kann ich eine Maskenpflicht verlangen?
Ja, nach Angaben in der Schulmail 15 unter Abschnitt IV kann eine Maskenpflicht verlangt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Die Masken müssen vom Dienstherrn bereitgestellt werden. Das gilt sowohl für Lehrkräfte, wie für Schüler*innen. Diese Handhabung ist auf jeden Fall nachrangig. Solange nicht alle Schüler*innen in der Schule sind, muss die Separierung und Aufteilung auf alle Klassen möglich sein.
Zählen Lehrer*innen zu den systemkritischen Berufen, sind damit also "Schlüsselpersonen" und können die Notbetreuung für ihre Kinder in der jeweiligen Schule oder Kita wahrnehmen?
Ja, sobald Lehrkräfte in der Schule eingesetzt sind gelten sie als Schlüsselpersonen und können somit den Notbetreuungsanspruch für ihre Kinder wahrnehmen. Nötig ist dazu eine Bescheinigung des Arbeitgebers. Der Vordruck kann hier heruntergeladen werden: https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Recht/Schulgesundheitsrecht/Infektionsschutz/300-Coronavirus/FAQneu_Coronarvirus_Notbetreuung/index.html
Welche finanziellen Folgen gibt es für Tarifbeschäftigte?
Hier sind verschiedene Fallgestaltungen zu unterschieden:
1. Tarifbeschäftigte, die zu einer Risikogruppe bezüglich Corona gehören
Sie dürfen nicht in der Schule arbeiten. Sie erhalten weiterhin ihre normale Vergütung. Sie werden – wie Beamt*innen – vom Arbeitgeber freigestellt. Damit besteht weiterhin Lohnfortzahlungspflicht.
2. Tarifbeschäftigte, die arbeitsunfähig sind wegen einer Corona-Erkrankung
Es gelten die üblichen gesetzlichen und tariflichen Regelungen. Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz gilt für alle, die nicht unter den Überleitungsregelungen des Überleitungsrechts fallen (Stichtag ist der 31. Oktober 2006) ein sechswöchiger Lohnfortzahlungsanspruch.
3. Tarifbeschäftigte, die unter Quarantäne gestellt werden
Personen sind von ihrer Arbeitsverpflichtung befreit, wenn sie unter amtlich angeordneter Quarantäne stehen oder dem sogenannten beruflichen Beschäftigungsverbot nach dem Infektionsschutzgesetz unterliegen.
Grundsätzlich schuldet der Arbeitgeber seinen Beschäftigten weiterhin die Vergütung, wenn sie für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in der eigenen Person liegenden Grund ohne eigenes Verschulden an der Dienstleistung gehindert sind (§ 616 S. 1 BGB). Die Rechtsprechung geht hier von einem Zeitraum von bis zu sechs Wochen aus (BGH v. 30.11.1978, III ZR 43/77).
Besteht kein Anspruch auf Vergütungszahlung gegenüber dem Arbeitgeber (nach 6 Wochen), greift aber der Entschädigungsanspruch gegenüber dem Staat nach § 56 Abs. 1 IfSG., Der Arbeitgeber tritt hier in Vorleistung, kann aber die Erstattung der Entschädigung bei der zuständigen Behörde beantragen.
Nach Ablauf der sechs Wochen besteht ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe des Krankengeldes.
Wo finde ich noch mehr Fragen und Antworten?
Mehr Fragen und Antworten gibt es unter #gewhilft: FAQ zur Situation in den Schulen (GEW-NRW).